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USA A-Z

(Letzte Änderung: 26.01.2023 @ 10:35)

Indianer (Native Americans; First Nations)

Indianer waren die Träume meiner Kindheit. Ich wollte sein wie Winnetou, der edle Häuptling der Mescalero-Apachen. Wenn wir "Cowboys und Indianer" spielten, war ich immer auf der Seite der tapferen Stammeskrieger, deren Finten und Einfallsreichtum die eher plumpen Weißen überforderten. Eines Tages, so besprach ich es mit meinem Vater, würde ich in den Wilden Westen reisen, um meine Freunde, die "Indianer, zu besuchen".

So kam es auch. Allerdings musste ich bis zu meinem 24. Lebensjahr warten, bis uns unsere erste USA-Reise 1991 auch in die Randgebiete der Navajo Nation Reservation nahe des Grand Canyon Nationalparks führte. Was ich sah, war ein Realitätsschock. Von wegen Stolz, Edelmut und Charisma - in abgerissenen Kleidern saßen die Navajos an ihren Verkaufsständen und versuchten z.T. hochwertige handgearbeitete Schmuckgegenstände, z.T. aber auch einfach nur Tand und Neppes, an den weißen Mann zu bringen. Verschlossen abweisend wirkten sie auf mich. Ich witterte Verachtung und war bitter enttäuscht.

Wie naiv und uninformiert ich doch war!

Das sollte mir drei Jahre später während unserer viermonatigen Honeymoon-Tour erst richtig klar werden. Nach ernüchternden Eindrücken aus der Pine Ridge Indian Reservation in South Dakota (nahe des Badlands Nationalparks), wo hauptsächlich Oglala-Lakota Indianer leben, fuhren wir einige Wochen später kreuz und quer durch die Navajo Reservation sowie durch die Hopi und Zuni Reservate in Arizona. Überall das gleiche Bild: Die Menschen lebten vielfach in hüttenähnlichen Verschlagen. Umgeben von verrosteten Schrottautos sowie einfach vor die Haustür entsorgtem Sperrmüll, der sich mit der kargen, staubigen Landschaft zu einem deprimierenden Bild vereinigte.

Ausgerechnet die angeblich doch so naturverbundenen Indianer traktieren also Mutter Erde mit Hinterlassenschaften, die aus der Hand des weißen Mannes stammen und auf die Müllkippe, aber doch nicht in die Landschaft gehören. In den Städten, z.B. Chinle, konnte man vielen Menschen Drogen- und Alkoholsucht offen ansehen. Sie fristeten ein Leben in Armut auf der Straße. Perspektivlose Außenseiter und Verlierer jenseits der hohen Mauern der Zivilisation.

Das waren also die "echten" Indianer der Neuzeit. Was für ein Realitätsschock! Es fiel mir schwer damit umzugehen. Ich war hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Empörung, dass sich dieses einst so stolze, selbstbewusste Volk heute offenkundig so gehen lässt.

Waren meine Eindrücke Einzelfälle, die ein verzerrtes Bild abgeben? Habe ich nur auf das Negative geachtet, dass es in jeder Gesellschaft gibt? Wie ist die Situation der Native Americans wirklich? Nachfolgend versuche ich eine kurze Analyse, die jedoch an dieser Stelle nur skizzenhaft ausfallen kann.

Eigentlich geht es den Indianern in den USA heute nicht schlecht. Die durch Bundesmittel subventionierten Reservate genießen weitgehende Autonomie und Steuerhoheit und haben sogar eine eigene Verfassung, die an die amerikanische Landesverfassung (constitution) angelehnt ist. Auch Legislative, Jurisdiktion und Exekutive werden selbst verwaltet. Seit einem Sondergesetz der US-Regierung aus dem Jahr 1988 dürfen in Indianerreservaten Casinos als willkommene Einkommensquelle betrieben werden, während sie außerhalb der Reservate in der Regel untersagt sind. (Nicht alle Stämme nutzen dieses Privileg. Die Navajos und die Hopi z.B. fürchten, dass der Casino-Kommerz ihrer Kultur und ihren Traditionen schaden könnte, und verzichten auf die Einnahmen.)

Eric T. Hansen bemerkt dazu treffend. "In den Indianerreservaten der USA gelten eigene Gesetze. Manche sind so etwas wie Parallelstaaten mit billigen Zigaretten und florierendem Glücksspiel." (Quelle: www.zeit.de)

Nicht mal das FBI hat generelle Durchgriffsrechte auf tribal land (sofern es sich nicht um Kapitalverbrechen handelt). Nur auf explizite "Einladung" der indianischen Regierung und lediglich temporär dürfen Bundesbeamte, quasi wie deputies, ermitteln. Die Navajo Nation z.B. hat sogar Hoheitsrechte über Bodenschätze und kann Explorationen untersagen oder autorisieren.

Klingt alles gut, emanzipiert und modern. Historisch betrachtet ein klarer Fortschritt gegenüber finsteren Zeiten, als z.B. 1890 der Indian Naturalization Act Indianern nur auf gesonderten Antrag Bürgerrechte gewährte. Trotz eines Indian Citizenship Acts von 1924 blieb vielen Indianern das Wahlrecht faktisch verwehrt - erst 1965 verabschiedete Präsident Lyndon B. Johnson das Wahlrechtsgesetz zum Schutz ethnischer Minderheiten, durch das bis dato noch weit verbreitete Wahlhindernispraktiken aus der Welt geschafft wurden.

Von noch finsteren Zeiten ganz zu schweigen. Im 18. und 19. Jahrhundert waren Vertragsbrüche und genötigte, erpresste oder mit rohem Faustrecht durchgesetzte Landenteignungen und Zwangsumsiedlungen Bestandteile einer nach rechtsstaatlichen Maßstäben vollkommen unhaltbaren amerikanischen Indianerpolitik.

Nur ein paar Beispiele: 1784 wurde den Six Nations (Irokesenstämme) im zweiten Vertrag von Fort Stanwix unter Androhung militärischer Strafmaßnahmen Land quasi aus den Händen gerissen. Nach ihrer Niederlage bei Fallen Timbers unterzeichneten 1795 zwölf Stämme den Vertrag von Greenville. Der Vertrag sah die Aufgabe von Ohio und Teilen Indianas vor und musste akzeptiert werden, weil den Indianern sonst die völlige Vernichtung gedroht hätte. 1868 wurde zwischen Häuptling Red Cloud und der U.S. Regierung der Vertrag von Fort Laramie geschlossen. Im Kern ging es um umfangreiche Landzusagen an die Sioux-Indianer. Als jedoch in den Black Hills im Jahr 1872 Gold gefunden wurde, war der Vertrag nicht mehr das Papier wert, auf dem er geschrieben stand. Mit Billigung der U.S. Regierung wurden die heiligen Berge der Prärie-Indianer von Tausenden Goldsuchern entweiht. Die Spannungen zwischen Indianern und Weißen eskalierten. Trotz des Siegs der Indianer unter Sitting Bull am Little Bighorn über die U.S. Army unter General Custer bedeuteten die damit verbundenen Kriege faktisch das Ende des indianischen Widerstands gegen die technologisch und zahlenmäßig hoch überlegene weiße Besatzungsmacht.

"Welchen Vertrag, den die Weißen eingehalten haben, hat der rote Mann gebrochen? Nicht einen. Welchen Vertrag, den die Weißen mit uns schlössen, haben sie gehalten? Nicht einen. Als ich ein Junge war, gehörte die Welt den Sioux. Die Sonne ging auf und unter in ihrem Land, sie schickten zehntausend Männer in den Kampf. Wo sind heute die Krieger? Wer hat sie getötet? Wo ist unser Land? Wem gehört es? Welcher Weiße kann sagen, daß ich ihm sein Land oder einen Penny seines Geldes gestohlen hätte? Und doch nennen sie mich einen Dieb. Welche weiße Frau, auch wenn sie ganz allein war, wurde jemals von mir gefangengenommen oder beleidigt? Und doch nennen sie mich einen schlechten Indianer. Welcher Weiße hat mich jemals betrunken gesehen? Wer ist jemals hungrig zu mir gekommen und wurde nicht satt? Wer hat je gesehen, daß ich meine Frauen schlug oder meine Kinder mißhandelte? Welches Gesetz habe ich gebrochen? Ist es ein Unrecht, wenn ich die Meinen liebe? Bin ich böse, weil meine Hautfarbe rot ist? Weil ich ein Sioux bin? Weil ich geboren wurde, wo mein Vater lebte, weil ich bereit bin, für mein Volk und für mein Land zu sterben?" (Sitting Bull, zit. nach www.miigwan.com; Link nicht mehr auffindbar)

Zurück ins Hier und Jetzt. Wie passen die zerlumpten, apathisch wirkenden Menschen in den Reservaten, der viele achtlos dahin geworfene Müll, die weit verbreitete Alkohol- und Drogensucht in das oben gezeichnete fortschrittliche Bild einer mit Privilegien und Selbstbestimmungsmöglichkeiten alimentierten first nation? Warum lebt in den Reservaten ein Großteil des ärmsten einen Prozents der amerikanischen Bevölkerung - nur durch staatliche Wohlfahrtsprogramme einigermaßen über Wasser gehalten?

Oder ganz direkt gefragt: "Why are Indian Reservations so Poor? (Quelle: www.perc.org; Link nicht mehr auffindbar)

"To explain the poverty of the reservations, people usually point to alcoholism, corruption or school-dropout rates, not to mention the long distances to jobs and the dusty undeveloped land that doesn’t seem good for growing much. But those are just symptoms. Prosperity is built on property rights, and reservations often have neither. They’re a demonstration of what happens when property rights are weak or non-existent. The vast majority of land on reservations is held communally. That means residents can’t get clear title to the land where their home sits, one reason for the abundance of mobile homes on reservations. This makes it hard for Native Americans to establish credit and borrow money to improve their homes because they can’t use the land as collateral—and investing in something you don’t own makes little sense, anyway.

This leads to what economists call the tragedy of the commons: If everyone owns the land, no one does. So the result is substandard housing and the barren, rundown look that comes from a lack of investment, overuse and environmental degradation." (Quelle: a.a.O.)

Schuld an der Misere ist also maßgeblich das indianische System, nicht individuelles Eigentum zu verbriefen und auf diese Weise Anreize zu setzen Land gewinnbringend zu bewirtschaften oder wenigstens "in Schuss zu halten", sondern kollektive Nutzungsrechte. (Von diesem Prinzip gibt es aber Ausnahmen - nicht in allen Reservaten wird so verfahren, z.B. nicht in den Crow-Reservaten, wo zwei Drittel des Landes in Individualeigentum sind.)

Ein weiterer Faktor sind fehlende Anreize für nicht-indianische Investoren. Komplizierte juristische Fallstricke und allgemeine Rechtsunsicherheit tragen nicht zu einem freundlichen Investitionsklima bei. "Companies and investors are often reluctant to do business on reservations—everything from signing up fast food franchisees to lending to casino projects—because getting contracts enforced under tribal law can be iffy. Indian nations can be small and issues don’t come up that often, so commercial codes aren’t well-developed and precedents are lacking. And Indian defendants have a home court advantage." (Quelle: a.a.O.)

Hinzu kommen gravierende Standortnachteile, denn Reservate befinden sich oftmals in sehr abgelegenen Regionen des Landes - ein düsteres Andenken an die Abdrängungspolitik der U.S.-Regierungen in den vergangenen Jahrhunderten. Platt gesagt: Wo keine zahlungswilligen Menschen hinkommen, helfen auch Casinos nur bedingt weiter.

Wenngleich die Armut in den Reservaten nicht von der Hand zu weisen ist, stellt sie doch nur eine Facette der indianischen Lebenswirklichkeit im 21. Jahrhundert dar. Nur etwa die Hälfte der ca. 1,9 Millionen Native Americans lebt heute überhaupt in den Reservaten. Viele Indianer führen dagegen ein assimiliertes, normales und im Hinblick auf ihre indianische Abstammung zunehmend selbstbewusstes Leben außerhalb dieser Ghettos. Es gibt Indianer in Akademiker-Spitzenpositionen, und indianisch zu sein ist längst kein Stigma mehr.