kentucky (ky)
(Letzte Änderung: 25.01.2023 @ 16:38)
Um dem geneigten Leser Kentucky ein wenig näher zu bringen, werde ich ein paar kleine Anekdoten zum Besten geben. Wir schreiben das Jahr 1992.
Meine werte Gemahlin und ich waren auf dem Weg von Normal (IL) zum Mammoth Cave NP. Das ist der einzige Nationalpark in Kentucky, und um unserem Ziel näherzukommen irgendwann sämtliche Nationalparks der USA besucht zu haben, wollten wir dem Park einen Besuch abstatten.
Der Mammoth Cave NP liegt ziemlich abgelegen in, sagen wir mal, sehr ländlichem Gebiet. Kurz bevor wir den Park erreichten, legten wir einen Übernachtungsstopp ein. Es war Samstagabend und uns gelüstete nach einem schönen Lagerfeuer-Bier auf dem Campingplatz. Leider war die Kühltasche leer. Also mussten wir los und in dem nahegelegenen Kaff, dessen Namen mir entfallen ist, Nachschub besorgen.
Dabei begegnete mir zum ersten Mal in meinem Leben der Begriff dry county. Dry = trocken im Sinne von staubtrocken. Kein Tropfen Alkohol war weit und breit aufzutreiben, die ganze Gegend stand unter dem prohibitiven Verdikt eines generellen Alkoholverkaufsverbots.
So etwas gibt es in den USA nicht nur in Kentucky, wie die nachfolgende Wikipedia-Grafik belegt (Rot: dry, Gelb: mixed, Bau: wet):
Na, haben Sie Kentucky gefunden? Da, wo fast alles rot ist, sind Sie goldrichtig.
Dabei stammt die Bezeichnung Bourbon Whiskey von Bourbon County und das liegt in - Kentucky, welches sowieso allgemein als Whisky-Hochburg gilt.
"Im Bundesstaat Kentucky in den USA stand eine Entscheidung über das Verkaufsverbot von Alkohol auf der Tagesordnung. Bei der Abstimmung in einem Bezirk stimmten 21 Abgeordnete für ein Verbot und 21 dagegen. Man überlegte wie man die Situation lösen könnte. Dann kam jemand auf die Idee, das ganze durch einen Münzwurf zu entscheiden. Am Ende gewannen die Gegner, das Verkaufsverbot bleibt in dem Bezirk bestehen. " (Quelle: www.shortnews.de; Link nicht mehr auffindbar)
Ein treffliches Zeugnis des geradezu entwaffnenden Pragmatismus, der die Amerikaner manchmal beschleicht, und offenbar auch nicht vor den Staatsgrenzen Kentuckys halt macht.
Ent-Waffnung passt übrigens nicht wirklich zu Kentucky. Das ist ein Widerspruch, wie er größer kaum sein könnte.
Als wir am nächsten Tag (Sonntag) auf dem Weg zum Lunch in ein Restaurant waren, welches uns wärmstens empfohlen wurde, fiel uns ein Mann auf. Colt am Gürtel. Offen, einfach so. Kein Ordnungshüter, sondern ganz offenbar Zivilist. Der Kerl lief am Sonntagmorgen mit einer Knarre durch das Dorf. Vielleicht war er ja auf dem Weg in die Kirche.
"In Louisville (US-Staat Kentucky) hat ein Pfarrer seine Gemeinde eingeladen, bewaffnet zum Gottesdienst zu kommen. Damit will sich Ken Pagado ... für das Recht zum Tragen von Waffen einsetzen und den 'verantwortungsvollen Umgang' mit ihnen fördern. Vorbehalte gegenüber Waffen seien eine 'ungesunde Paranoia', begründete der Geistliche seine Einladung zu einer 'Open Carry Celebration' am 27. Juni - einem Gottesdienst, bei dem Waffen offen getragen werden können. Allerdings dürfen sie nicht geladen und müssen sicher in einem Holster verstaut sein, betont Pagano.
Bei der Veranstaltung soll zudem eine Pistole verlost und patriotische Musik gespielt werden. Außerdem sollen Besitzer von Waffenläden und Schießständen zu Wort kommen, berichtete die Zeitung 'Courier-Journal'. Er wolle mit seiner Idee 'ausgetretene Pfade verlassen', sagte Pagado dem Blatt. Eines der wichtigsten Motive seien Sorgen von Hobbyschützen, US-Präsident Barack Obama könnte das Tragen von Waffen per Gesetz erschweren, sagte der Geistliche, dessen Gemeinde den Angaben zufolge zwischen 125 und 150 Mitglieder hat." (Quelle: www.stern.de)
Erziehung zum verantwortungsvollen Umgang mit Waffen: Das ist genau die verquere Denke, mit der die einflussreiche NRA (National Rifle Association) versucht die Fahrt aufnehmende politische Diskussion um eine Änderung der Waffengesetze in den USA zu vernebeln.
Auch hier lohnt es sich etwas weiter auszuholen, wie es Hannes Stein in seinem hervorragenden Aufsatz getan hat. Diesen gebe ich gekürzt wieder. (Quelle: www.welt.de)
.In Burkesville im amerikanischen Bundesstaat Kentucky hat ein Fünfjähriger seine zweijährige Schwester erschossen. Die Mutter der beiden war gerade damit beschäftigt, die Küche zu putzen; dann ging sie auf die Veranda heraus. Dort hörte sie den Schuss. Als sie wieder hereinstürzte, lag die kleine Caroline Sparks in ihrem Blut. Sie war ohne Bewusstsein und starb im Krankenhaus. Ihr Bruder Kristian hatte natürlich aus Versehen abgedrückt.
Bei der Schusswaffe handelte es sich um ein Gewehr des Kalibers 22, das 'Crickett' heißt. Es wird von der Milton Company in Pennsylvania hergestellt und ist in den Farben rosa, regenbogenbunt und himmelblau erhältlich. Es wurde speziell für Kinder angefertigt – Kristian hatte seine 'Crickett' zum Geburtstag erhalten. ...
In New York wurde ein Ladenbesitzer in Manhattan zu einer Geldbuße von 60.000 Dollar verurteilt. Sein Name ist Fred Shayes, er ist 49 Jahre alt, und ihm gehört das Geschäft "US Camera & Computer Inc.' In der Nähe der Penn Station. Worin bestand das Vergehen von Mr. Shayes? Er hatte Feueranzünder in Form von Spielzeugpistolen verkauft. Die Feuerzeuge sind so klein, dass sie problemlos auf einen Handteller passen; trotzdem sagten die Inspektoren, die seinen Laden besichtigten, man könne diese Accessoires leicht mit echten Waffen verwechseln. In der Stadt New York dürfen Spielzeugwaffen nur verkauft werden, wenn sie leuchtend grün oder blau oder rot oder neonfarben sind und einen gut sichtbaren Stempel des Herstellers tragen. Es ist verboten, sie in der Öffentlichkeit bei sich zu tragen.
Fred Shayes wollte ein Dutzend Feueranzünder unter die Leute bringen; für jeden von ihnen soll er jetzt 5000 Dollar berappen. Er ist verzweifelt, denn er kann diese Summe nicht aufbringen. Wenn die Stadt New York stur bleibt, wird er also wegen ein paar Feuerzeugen sein Geschäft verlieren.
Beide Geschichten haben sich binnen 24 Stunden in den Vereinigten Staaten von Amerika abgespielt, einem Land, in dem die Verfassung jedem Bürger das Recht auf Waffenbesitz garantiert. Wie ist das möglich? Warum bekommt ein Fünfjähriger in Kentucky ein echtes Schießgewehr zum Geburtstag geschenkt, während er in New York noch nicht einmal mit einem Plastikrevolver herumrennen dürfte? ... Zunächst einmal sollte aber erwähnt werden, dass die Nachricht von dem Tod des kleinen Mädchens in Amerika einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hat. Die Empörung ist umso größer, als die 'National Rifle Association' an diesem Wochenende in Houston im Bundesstaat Texas ihr Jahrestreffen abhalten wird. Man erwartet 70.000 Besucher, wahrscheinlich wird die Sache einem riesigen Grillgelage gleichen, und die 'NRA' wird ihren Sieg über Präsident Obama feiern, dessen Gesetzesvorlage, die eine schärfere Kontrolle von Waffen vorsah, gerade eben im Senat in Washington gescheitert ist. ...
Zurück zu der Frage, wie die unterschiedlichen Waffengesetze in Kentucky und New York zustande kommen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein föderales Gebilde, das manchmal mehr einem lockeren Staatenbund gleicht als einem fest gefügten Bundesstaat. Washington, DC, ist nicht London oder Paris; es ist Brüssel. Zwar garantiert die Verfassung dem Bürger, dass er grundsätzlich Waffen besitzen darf, aber wie dies in der Praxis aussieht, regelt jeder Bundesstaat für sich: Welche Waffen kann man überhaupt haben, darf man sie offen oder verdeckt bei sich führen, ist eine Überprüfung des Käufers einer Waffe erforderlich, bekommt man die Waffe sofort über den Ladentisch gereicht oder muss man ein paar Wochen auf sie warten?
Just darum geht es auch in dem Streit um strengere Waffengesetze: Darf Washington sich aus der Ferne in die Gesetzgebung der Einzelstaaten einzumischen? Ferner haben 'municipalities', also Stadtgemeinden, die Möglichkeit, das Recht auf Waffenbesitz auf ein Mindestmaß einzudampfen. Auch in der Stadt New York hat man natürlich das Recht, eine Waffe zu erwerben; aber praktisch bekommt man nie die Erlaubnis, eine Waffe, gar noch eine geladene, mit sich herumzutragen. Und Spielzeugpistolen, die irgendwie echt aussehen, sind eben auch verboten.
Wie würde nun ein Anhänger der 'National Rifle Association', die immerhin fünf Millionen Mitglieder hat, auf die bestürzende Nachricht aus Kentucky reagieren? Vielleicht so wie Roger Ayscue aus North Carolina, der selbst Vater ist; außerdem hat er eine Lizenz, die ihn berechtigt, Leuten das Schießen beizubringen. Seine eigenen Kinder haben mit just jenem Kleinkalibergewehr für Kinder trainiert, das es in den Farben rosarot, regenbogenbunt und himmelblau gibt – und zwar, seit sie acht Jahre alt waren.
Ayscue stellt die Frage nach der Verantwortung der Mutter, die in der Küche zugange war, während ihr fünfjähriger Sohn mit einer geladenen Waffe spielte. 'Die Schlüsselfrage ist nicht, wie jung das Kind war, wenn die Eltern direkt involviert waren. Die Frage ist, wie der Fünfjährige an die Waffe kam.' In Roger Ayscues Haus wird das Gewehr nicht am selben Ort aufbewahrt wie die Munition. Das Gewehr wird eingeschlossen und zusätzlich mit einem Gewehrschloss gesichert. Und selbstverständlich hätten seine Kinder nie ohne seine Aufsicht einen Schuss abgefeuert."
Für einen Großstadtmenschen mitteleuropäischer Prägung ist Kentucky vermutlich schwer zu verstehen. Wer aus Boston, San Francisco oder Philadelphia kommt, wird vermutlich auch Probleme haben mit dem allgegenwärtigen "Hillbilly-Syndrom" (Hillbilly = Landei, aber sehr abwertend gemeint; Kentucky gilt als eines der Epizentren dieses Syndroms) klarzukommen.
Dazu eine letzte Anekdote, die sich allerdings kurz hinter der Grenze in Tennessee zutrug. Passt aber trotzdem. Wir waren auf dem weiteren Weg zum Great Smoky Mountains NP und machten an einer Pizzeria Rast. Die Bedienung kam offensichtlich nicht aus der Gegend, denn ein gepflegter Ostküsten-Dialekt begrüßte uns sinngemäß so:
"Where ya from"?
"Germany."
"Cool. I´m from Rhode Island."
"How come you live here? Don´t like it at the East Coast?"
"Moved here. Followed my husband."
"You like it here?"
"Nah. It´s strange. These people are strange. Keep on sitting in their hills. Don´t see anything beyond. Don´t know ´bout anything in the world. Even eat weird things like raccoons and squirrels. Glad to meet you."